Beziehungen statt Kampagnen

Was tun gegen die zunehmende Wirkungslosigkeit klassischer Werbung? Eine Antwort heisst Content-Marketing. Informative und unterhaltende Stories, die nur indirekt eine kommerzielle Botschaft transportieren, können die Wahrnehmungsbarrieren überwinden. Noch tut sich die Werbebranche schwer mit der neuen Spielart kommerzieller Kommunikation.

 

3-teilige Artikelserie von Markus Gabriel für medienwoche.ch

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Ein Artikel über Content Marketing kommt heute noch nicht ohne Begriffserklärung aus. Das Thema ist zwar in aller Munde, zumindest in digitalen Medien und Marketing, dennoch liegen die Auffassungen davon zum Teil krass weit auseinander.

Wir wollen deshalb mit folgender Definition arbeiten: Content Marketing ist kommerzielle Kommunikation, die beeinflussen will, aber nicht auf so ungefragte und offensive Weise wie Werbung. Der Betreiber von Content Marketing möchte schon, dass sich die Sache positiv auf seinen Geschäftsgang (oder andere Marketingziele) auswirkt. Diese Wirkung soll aber nicht durch gestreute Werbemittel, sondern durch gestreute Stories erzielt werden.

Und unter Stories kann man alles verstehen, was der Medienkonsument freiwillig aufnimmt (also annimmt), womit er sich ohne Nötigung beschäftigt, was er oft auch aktiv sucht und womöglich gerne mit anderen teilt. Content Marketing gibt es für die linke Hirnhälfte, dann ist es informativ, gescheit, lehrreich und lösungsorientiert. Aber auch für die rechte Hirnhälfte, wo es unterhaltend, berührend, gefällig, witzig, schockierend ankommt, um nur ein paar möglich Adjektive aufzuzählen.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Über die strategische Bedeutung von Content Marketing ist man sich in Kreisen von Suchmaschinen-, PR-, Social Media- und Dialog-Spezialisten schnell einig. Sie sind klar der Meinung, dass das Marketing der Neuzeit auf Content angewiesen ist und deshalb jedes Unternehmen essenziell eine Content Marketing Strategie braucht. In Werbekreisen dagegen ist das Thema höchstens ein flankierendes. Sie glauben nach wie vor daran, dass die Markenpflege die wichtigste Aufgabe der Marketing-Kommunikation sei und dass der klassischen Werbung mit ihrer kreativen und emotionalen Kompetenz dabei die Lead-Funktion zufalle. Die inhaltegetriebene Kommunikation über digitale Kanäle halten sie für zweitrangig und Content Marketing letztlich für ein Buzzword, das bloss alten Wein in neuen Schläuchen meint.

In der Tat: «Content Marketing» bringt derzeit alles mit, was ein aufgebauschter und gehypter Marketingbegriff beinhalten muss, um in gestandenen Kreisen belächelt zu werden. Content-Marketer sind so beflissen, Content Marketing in eigener Sache zu betreiben, dass sie den Begriff mit vielen lehrreichen Worten hochhypen aber gleichzeitig in die Enge des Rationalen wegsperren. Damit ist das Thema für Werber, welche die Seele des Menschen von Berufswegen ganzheitlicher begreifen, praktisch schon gegessen: Mit Informationen schafft man doch keine Love-Brands. Und doch bietet der Begriff Content Marketing eine so grosse Projektionsfläche, dass praktischer jeder, der irgendwie mit Kommunikation etwas zu tun hat, sich dazu rhetorisch in den Wind legen kann. Wie Content Marketing zu definieren und zu einzuordnen sei, darüber lässt sich dann auch vortrefflich debattieren. Die Werbung hat aber ganz andere Probleme:

Werberesistenz und -überdruss

So wie die Medizin gegen die stetig wachsende Antibiotika-Resistenz von Bakterien kämpft, leidet die Werbebranche seit Jahrzehnten unter wachsendem Werbewirkungsverlust, weil die Aufnahmefähigkeit des menschlichen Gehirns nicht parallel zur steigenden Informationsflut wuchs. Gemäss einer Studie des IMK buhlen heute über 6000 Werbeimpulse täglich um die Gunst des Konsumenten, während dieser 1970 erst 300 Werbekontakte pro Tag zu verarbeiten hatte. Dagegen half der einzelnen Werbebotschaft nur häufigeres Repetieren, was aber mit steigenden Kosten verbunden war und gleichzeitig das Problem verschärfte. Kein Wunder ist im Gleichschritt mit der Reizüberflutung auch die Werberesistenz und Werbeverdrossenheit in der Gesellschaft gestiegen. Sinnbildlich: Rund die Hälfte aller Schweizer Briefkästen wehren sich mit einem Stopp-Kleber gegen Werbung, die auch sonst stark an Einfluss verliert.

Kein Problem, sagen sich die Werber, wen interessiert schon der statistische Trend, wenn man den Einzelfall gestaltet. Und während sie sich darüber streiten, ob die kreativere Idee, der zeitgemässere Mediamix, die lautere Promotion, die tieferen Consumer Insights oder einfach das angehobene Werbebudget den Unterschied ausmachen, entfernen sich die Konsumenten mental und medial immer weiter von den Rohren, die auf sie schiessen.

Der Werbung ausweichen

Die Digitalisierung der Medien hat im Verlauf von zwei Jahrzehnten das Mediennutzungsverhalten nachhaltig verschoben, nicht nur von Papier zu Screen, sondern auch durch die Möglichkeiten der spontanen und suche-gestützten On-Demand-Nutzung. Musik kommt nicht mehr werbeunterbrochen aus dem Radio, sondern via Spotify direkt in die Ohrstöpsel oder aus den Computerboxen. TV-Inhalte finden werbefrei ihren Weg über Netflix oder per Replay auf den Flatscreen mit Werbeblöcken, die man überspulen kann. Und doppelseitige Anzeigen, an denen man früher nicht vorbei kam, sind auf dem Handy einfach schwierig. Selbst die grossen Plakate müssen heute ihre Augenfälligkeit mit allgegenwärtigen Handy-Screens teilen.

Dennoch – das ist klar – wird es der Werbeindustrie immer wieder gelingen, Werbebotschaften irgendwie vor der Netzhaut des überraschten Konsumenten zu platzieren, also Mittel und Wege zu finden, die das Prinzip der Unterbrecherwerbung am Leben erhalten. Es wird auch immer brillante Werbung geben, der man dies nicht übel nimmt, wie etwa die köstliche VBZ-Werbung mit Daniel Jositsch und Christoph Mörgeli.

Die erdrückende Mehrheit der Werbeerzeugnisse aber möchten immer mehr Leute immer weniger gern sehen. Der grosse Vorteil von klassischer Streuwerbung ist die hohe Reichweite auf einen Schlag. Aber Werbetreibende, die ehrlich mit sich sind, ahnen es im Innersten: sie investieren ihr Geld nicht in Reichweite, sondern in die Hoffnung auf Reichweite. Eine Hoffnung, die durch eindrückliche Media-Daten immer wieder genährt wird. Auch die Hoffnung auf eine unmittelbare Wirkung der Werbung bleibt im Hinterkopf wach, obwohl die Praxis diese selten kostendeckend bestätigt. Bleibt die nicht unbegründete Hoffnung übrig, dass konstante und konsistente Werbung über die Zeit ihre Wirkung entfaltet und am Ende doch noch am Erfolg einer Marke produktiv beteiligt ist. Aber zu welchem Preis?

Langfristiger Umbau

Auch Content-Marketing ist eine schleppende Angelegenheit. Es ist langwieriger und zeitlich aufwändiger, Reichweiten aufzubauen, wenn man sie sich verdienen muss, statt sie einfach zu buchen. Dafür ist Content-Marketing nachhaltiger. Hier werden nicht Kampagnen gefahren, sondern Beziehungen aufgebaut. Dazu müssen zuerst Rohre verlegt werden, eigene Publikationskanäle, die sich mit den bereits verlegten (Social-Media-)Röhren zu einem Kanalisationssystem verbinden. Das Resultat ist ein Bewässerungssystem für den eigenen Garten, das natürlich nur Sinn macht, wenn auch Content fliesst.

Wenn ein Unternehmen sein eigenes Rohrsystem unterhält, ist es nicht mehr so sehr auf die Flutleistung von Medienhäusern, Verlagen, Fernsehanstalten oder Plakatgesellschaften angewiesen. Solche Unternehmen sind auch nicht verdammt dazu, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Sie brauchen nicht dauernd Pre-Tests und Marktstudien durchzuführen, um ja keinen Fehler in der repetitiven Verbreitung zu potenzieren. Sie müssen unter dem Gebot des effektiven Mitteleinsatzes nicht mehr alles auf eine Kampagne setzen und hoffen, dass es die richtige ist. Im Content Marketing können sie wie bei Geldanlagen ihre Kommunikation diversifizieren. Schauen was geht.

Das Geld wird statt in die vermeintlich ultimative Kampagne in artenreichen Content investiert, der nicht im Altpapier landet, sondern on-demand jederzeit zur Verfügung steht, gefördert von Suchalgorithmen, Backlinks und Shares. Das Unternehmen entwickelt dabei publizistische Intelligenz und gewinnt wertvolle Peer-to-Peer-Erfahrungen, die zum Beispiel in die Entwicklung neuer Produkte oder neuen Contents einfliessen können. Aber einfach ist das nicht.

Der Haken am Content-Marketing liegt natürlich im seinem Pull-Charakter. Viele Produkte können nicht darauf vertrauen, dass man nach ihnen sucht. Eine neue Kaugummi-Sorte, auf die keiner gewartet hat – wie schafft die es zwischen die Zähne der Konsumenten, ohne die etwas aufsässige Unterstützung durch Push-Werbung?

Oder ein anderes Problem: Wenn alle Firmen anfangen, mit Content um sich zu schmeissen, wie stellt man dann sicher, dass der eigene Content nicht untergeht? Beide Fragen kann nur Kreativität beantworten. Mit Ideen lässt sich im Internet auch ein Kaugummi grandios inszenieren, so dass es womöglich zum digitalen Tagesgespräch wird, nicht mit Banner, nicht mit Adwords, nicht mit konventionellen Blogposts. Im Verdrängungskampf um Aufmerksamkeit, gewinnt auch hier das überraschender, schöner, intelligenter Dargereichte. Ein schönes Beispiel dafür ist die Pro-Infirmis-Aktion «Behinderte Schaufensterpuppen an Zürichs Bahnhofstrasse», bzw. das Making-of davon im Netz.

Agenturen bewegen sich kaum

Und da sind wir wieder bei der Domäne der Werber. Genau diese Fähigkeit, Inhalte so umzusetzen, dass sie die Aufmerksamkeit und Sympathien der Menschen gewinnen, die Fähigkeit sich abzuheben, die Konkurrenz alt aussehen zu lassen, genau das ist die Domäne talentierter Werber. Einige wenige Werbeagenturen haben erkannt, dass ihr Handwerk auch im Content-Marketing gefragt ist, und sind dabei, entsprechende Zuständigkeiten aufzubauen; die namhafteste darunter Advico Y&R. Andrerseits haben sich die Digital-Agentur INM mit Tamás Kiss und die PR-Agentur Farner mit Philip Scraball mit genau dieser Absicht gestandene Kreative aus der Werbung an Bord geholt.

Bei den allermeisten Agenturen wird es aber eher bei einem rhetorischen «Machen wir auch»-Bekenntnis bleiben. Denn Content-Marketing, zu Ende gedacht, ist ein Gegenentwurf zur Werbung, der eigentliche Königsausweg aus der Werbung. Ein Nebeneinander im selben Haus ist als Übergangslösung tragbar, aber ansonsten ein Widerspruch in sich.

Content-Marketing stellt an die Kreation zwar ähnliche handwerkliche Anforderungen wie Werbung, aber beim Rest einer Werbeagentur bedarf es eines ziemlich radikalen Umbaus. Hier muss neues Know-How angeschafft und in neue Abläufe gepackt werden. Der intellektuelle und technische Umgang mit einer Vielzahl von Plattformen gilt es zu beherrschen. Wer entwickelt Content Strategien, wer definiert KPIs, wer setzt Inbound-Prozesse auf, mit welche Tools und Abläufen wird die Reise gesteuert, die Mannschaft koordiniert?

Ob diese Transformation den Werbeagenturen gelingt, darf aufgrund ihres bescheidnen Adaptionsvermögens in der Vergangenheit eher bezweifelt werden. Viel wahrscheinlicher ist es, dass neue Spezialagenturen entstehen und das Feld von hinten aufrollen. Wie schnell die Unternehmen ihrerseits diesen Content Turn vollziehen, lässt sich auch nur vage voraussagen: langsamer als das benachbarte Ausland und im Vergleich zu Amerika reichlich spät, aber vermutlich schneller als die Werbeagenturen.

Die Serie im Überblick:

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